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Gilbert Jakubczyk – der ehrliche Scharlatan
BEbbert 2. Juni 2015 Gilbert Jakubczyk – der
ehrliche Scharlatan2016-06-13T18:58:20+00:00Begegnungen, Jahrmarkt 6 Comments
(02.06.2015)
Das erste Mal begegnet bin ich Gilbert Jakubczyk, der
sich selbst „den ehrlichen Scharlatan“ nennt, 2014 beim Historischen Jahrmarkt in der Jahrhunderthalle in
Bochum. Ich weiß es noch genau, weil ich nur den kleinen
Auszug aus seiner Darbietung mitbekommen habe, als er seine Zigarette in einer
Jacke ausdrückte. Zum ersten Mal überhaupt habe ich mich erinnert, dass mein
Vater mich mit genau diesem Trick beeindruckt hat, als ich vielleich
fünf oder sechs Jahre alt war. Nach dieser ersten Begegnung sind wir uns
mehrmals über den Weg gelaufen, aber irgendwie war nie die Zeit für ein
längeres Gespräch. In Dortmund beim Historischen Jahrmarkt auf Zeche Zollern hatte ich endlich Gelegenheit,
mehr über ihn und sein Leben herauszufinden.
Seit seinem 13. Lebensjahr lebt Gilbert auf der Straße, damals war er in einem
Kinderheim untergebracht, aus dem er immer wieder davongelaufen ist.
Schließlich landete er bei einem Gewichtheber, dem er zur Hand ging und der ihn
in die Geheimnisse des Straßenlebens einwies. Mit 17 Jahren war er dann einer
der ersten Gaukler, die vor dem Centre Pompidou in
Paris auftraten. Anfangs als Pantomine, später als
Automatenmensch. Als die Automatenmenschen dann immer mehr wurden, hat er sich
nach neuen Attraktionen umgesehen, mit denen er auftreten konnte. Dabei hat er
einerseits nachgeforscht, welche Straßenkünste historisch belegt sind, zum
Beispiel der 100 Jahre alte Flohzirkus oder den Wandelhut, einem einfachen
Filzkreis, den – wie es heißt – schon Le Tabarin im
18. Jahrhundert erfand. Andererseits hat er vieles von anderen Gauklern
gelernt.
Das Feuerspucken
zum Beispiel hat ihm ein Feuerspucker beigebracht, der ebenfalls vor dem Centre Pompidou auftrat. Dieser Feuerspucker ist ebenso in
Gilberts Buch aus jener Zeit abgebildet wie der Fakir, der Kopfstand in
Glasscherben machte, oder der Mann, der ein echtes Messer verschluckte – da
wurde mir schon beim Anschauen ganz anders. Diese und viele andere Bilder aus
der Zeit, als Gaukler und Straßenkünstler selbstverständlich zum Pariser
Straßenbild gehörten und auch dessen Charme ausmachten, hat Gilbert fotografiert
und in dem kleinen Zimmerchen, in dem er damals noch direkt über dem Platz
lebte, entwickelt. Für das Buch, das 2007 erschienen und heute längst
vergriffen ist, hat er sie digitalisiert und neu zusammengestellt. Schade, dass
das Buch nicht mehr erhältlich ist, es erzählt die Geschichte einer Zeit, an
die sich viele nicht mehr erinnern.
Heute
unvorstellbar zum Beispiel, dass Gilbert anfangs der einzige war, der einen
Telefonanschluss besaß, über den auch die Kollegen kommunizierten, wenn es
nötig war. Kein Wunder, dass er es war, der in den 70er Jahren einen Verein
gründete, um die Interessen der Straßenkünstler zu vertreten. Das war auch
nötig, weil in jener Zeit die Repressalien gegen Gaukler begannen. Einmal, so
erinnert er sich, wurden 80 Polizisten gegen zwei Straßenkünstler aufgeboten.
„Dabei hat nach dem Grundgesetz jeder das Recht, sich frei zu entfalten,
solange er andere nicht stört oder belästigt.“ Gilbert ärgerte sich schon
wieder, als er mir davon berichtete. Aber er war auch stolz, was er erreicht
hat, unter anderem mit einem Protestmarsch auf der Champs
Elysses. Immerhin gelten Straßenkünstler und Gaukler
heute als Kulturgut und sind gern gesehene Gäste bei Veranstaltungen.
Auch wenn sich
die Stimmung inzwischen wieder gewandelt hat, sind die Zeiten, in denen Audrey
Hepburn und Eddi Constantine, Anthony Perkins und Prinzessin Anne sich mit
Gilbert fotografieren ließen, doch vorbei. Beeindruckend ist die Fotogalerie,
die über dem Esstisch in seinem Wohnwagen hängt, trotzdem. Außerdem kommen
heute andere Zuschauer, Gilbert schafft es immer, eine Menge auf sich zu ziehen
und sie mit alten, aber gerade deshalb faszinierenden Tricks zu fesseln. In
seiner Show sagte er unter anderem: „Guckt, Kinder, das ist besser als jedes Playstationspiel.“ Nachdem er seine Darbietung beendet
hatte, sagte ein acht- oder neunjähriger Junge neben mir zu seiner Mutter: „Das
ist wirklich besser als Playstation.“ Ein größeres
Kompliment gibt es wohl kaum, oder? Ich freue mich jedenfalls schon, Gilbert
wiederzutreffen. © Birgit Ebbert
Fotostrecke vom Auftritt Gilberts auf
Zeche Zollern
Noch ein paar Artikel, die ich über Gilbert gefunden
habe
Der ehrliche Scharlatan (Jüdische Allgemeine vom
14.10.2014)
Mittelalter-Traum auf sechs
Quadratmetern (www.pflichtlektuere.com)
Hier kann man Gilbert Jakobzcyk
in diesem Jahr noch live erleben
Darum zuckt Gilbert nicht mit der Wimper
(Hamburger Abendblatt vom 05.03.1981)
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